Mein Leben als Satiriker

Kategorien: Olivers Texte

Poetry Slamer - ein Job mit Zukunft

Lachen sollen sie. Nicht über mich, sondern über meine Texte. Drum trug ich etliche Texte auf Poetry Slams vor. Meist ging es um Frauen und meine Jugend. Meine Erlebnisse zu der Zeit waren so lächerlich, dass Lachkrämpfe garantiert waren. Anfangs lachte die Meute an den falschen Stellen, doch als ich ein paar derbe Wörter einbaute, lief es wie geschmiert. Ein Beispiel?
„Wir TRIEBEN es im Auto wie Karnickel. Dann kam sie mit ihrem ARSCH auf die Hupe. Sie erschrak, sprang auf und schlug mich mit ihren HUPEN ko.“
Mindestens acht Sekunden Gekicher. Ich war geboren für die Bühne.

Und wie sie immer klatschten! Sie klatschten beim Betreten der Bühne, bei jeder Grimasse und nach jeder Pointe. Ein Text für einen Slam darf maximal fünf Minuten dauern. Das bedeutet, dass mir das Geklatsche mindestens 30 Sekunden kostet. Ich reagierte mit ernsteren Texten über den Geruch meiner Oma und verlor mehrfach hintereinander. Diese Schande konnte ich nur mit einer Rückkehr zum Humor verarbeiten. Ein Text über ein sexuelles Erlebnis mit einem Mangokern brachte mich zurück an die Spitze. Besonders laut klatschte das Publikum, als ich meine Mutter mit ins Spiel brachte. Verrückte Zeiten.

Der Rest ist Geschichte. Das Fernsehen entdeckte mich, genauer eine Assistentin vom Lokalfernsehen schwärmte für mich, und ich durfte mein Können bei einem Format für Neulinge unter Beweis stellen: Junge Comedians aus dem Revier. Spätestens ab dem Zeitpunkt konnte ich mich nicht mehr vom Stempel befreien, dass ich anscheinend ein Humorist bin. Einer, der Witze und Gags einfach so aus dem Ärmel schüttelt. Es dauerte nicht lange, bis man mir eine Gitarre umschnallte und ich fortan meine kürzesten Texte als komischer Liedermacher vortragen durfte. Rasant wurde ich zum Geheimtipp, weil ich so freche Songtexte hatte und so rein gar nicht singen konnte. Darauf stehen die Leute, wenn jemand etwas mit vollster Überzeugung außerordentlich schlecht macht. Meine bekanntesten Songs schimpfen sich „Unruhen in Wanne-Eickel“ und „Natürlich habe ich Deine Mutti flach gelegt“. Sie wurden unzählige Male bei YouTube und so geteilt. Als meine erste Fanpage ins Laufen kam, saß ich stundenlang vor dem Spiegel und übte Selfies.

Der Hype endete mit dem dritten Album. Die Kritiker hatten sich an mir satt gehört und auch meine Auftritte im Fernsehen wurden weniger. Zuletzt stellte man mir sogar Neulinge zur Seite, die ich als alter Hase fördern sollte. Dabei kam ich mir gar nicht so vor. Das Getuschel um meine Person machte mich nervös, drum versuchte ich mich an neuen Konzepten. Ich trat mit Perücke auf und machte einen auf Prolet. Beflecktes Unterhemd, Bierkanne in der Hand und immer schön frauenfeindlich. Mein großes Comeback! Damit füllte ich sogar die größten Hallen Deutschlands. Doch leider wollten mich die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nicht mehr, drum wechselte ich zu den Privaten. Dort verkörperte ich auch andere Rollen, wie zum Beispiel einen Türsteher, der mit blonder Perücke und rosa Jogginganzug in einer Dönerbude arbeitet. Die Masse liebte mich und ich machte Werbung für mein liebstes Wassereis. Bis ich fett wurde.

Meine Geschichte als unförmiger Satiriker erlebte seinen Höhepunkt, als ich meinen Traum verwirklichte und ein eigenes Magazin auf den Markt bringen konnte. Ein satirisches Blatt voller Gemeinheiten und zynischer Bemerkungen über den Alltag meines Publikums. Ohne meinen Namen auf dem Cover wäre das wohl eine Eintagsfliege geworden, doch die Auflage überzeugte. Meine Texte wurden wieder etwas bissiger. Vielleicht war ich erleichtert, endlich diese bescheuerten Kostüme los zu sein. Es zahlte sich aus: beim Reisen mit den öffentlichen Verkehrsmittel sehe ich Leute mit meinem Heft in der Hand – und sie schmunzeln. Selbst die vielen Hater und Trolle auf den Internetseiten konnten mir meinen größten Coup nicht vermiesen. Sogar meine ersten drei Alben wurden wieder aufgelegt. Man bot mir eine eigene Talkshow bei ZDF Neo an. Wenig später einen eigenen Tatort. Doch dafür musste ich zunächst wieder einige Kilos abnehmen. 20 Kilo leichter wurde ich der Kommissar von Wanne-Eickel und ging kurz danach wieder auf Tour.

Während der Tournee hatte ich den Einfall, zurück zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Ich wollte mal wieder bei einem Poetry Slam auf der Bühne stehen. Meine Person war ein glatter Selbstläufer. Statt über meine verkorkste Jugend und meine ersten Erfahrungen mit Frauen zu berichten, konnte ich nahezu alles Mögliche sagen. Einfach den Mund aufmachen! Die Leute klatschten und jubelten aus Gewohnheit, weil ich für sie Humor verkörpere. Eine Witzfigur. Der Gedanke stimmte mich traurig, doch musste mir diese Wahrheit eingestehen: Humor hat nichts Tiefgründiges an sich. Es ist vielmehr eine stete Übertreibung des Bekannten. Mein finales Stück an dem Abend war der Song, in dem ich irgendeine Mutter verführe. Als ich sagte „… und nun ein Song für alle Milfs!“, lagen die Leute vor Lachen am Boden.

Still und heimlich habe ich im vergangenem Jahr ein Lyrikband veröffentlicht. Ein kleiner Verlag ließ sich darauf ein, mich unter Pseudonym zu vertreiben. In diesen Texten schrieb ich über Dinge, die Satiriker nicht beschäftigen dürfen, da sie sonst aussortiert werden. Über das Gleiten der schweren Wolken über meinem Haupt. Der Hauch von Furcht in den Gesichtern der Menschen. Aber kein Wort über den Geruch meiner Oma.
Bald ist mein 15. Fall in Sachen „Tatort“ abgedreht und ich habe noch allerhand Aufträge, die sich auf meinem Schreibtisch stapeln. Meinen alten rosafarbenen Jogginganzug versteigerte ich bei eBay. Nächstes Jahr bin ich 10 Jahre mit meiner Frau, der damaligen Assistentin vom WDR, zusammen. Die nächste Tournee ist geplant und ich veröffentlichte in den letzten Jahren drei urkomische Ratgeber für Stalker, Selfie-Freunde und Slammer. Es gibt viel zu tun im harten Geschäft des Humoristen. Alles nach Plan, alles bekannt. Das Leben eines Satirikers ist witzlos. Lachen sollen sie trotzdem.

 

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